Wandervogel warum?

Geschrieben von wv am . Veröffentlicht in Artikel

Star InactiveStar InactiveStar InactiveStar InactiveStar Inactive
 

zur eigenen verantwortung Kopie.jpeg

Vorweg: Den Artikel schenke ich mir zum 87.ten Geburtstag und den Lesern, die erfahren wollen, dass es mehr im Leben gibt, als Realität. Ich wuchs auf in der Denkschule zwischen Wandervogel, Fahrenden Gesellen, und jungenschaft mit Gefährten wir Adje Plumm, Rudi, Amme, doc, Heidib, Gerhardn, Lampi im Norden, weit weg vom Rheinischbacchantischen.

Meine Familie auch mit jüdischen und Sinti-Wurzeln (und Schweigen darüber) war arm über Generationen mit starkem Aufstiegswillen. Großvater Findelkind und Leben als Schuster im Keller, Vater Handelsvetreter gebrochen aus dem Krieg zurück, ich dann erst Manager, dann Lehrer, der Erste mit Studium und Haus ab 1945 in Frieden, als Einzelkind und in Jugend in starker Armut und Verklemmtheit durch Vertreibung, SS-Schule und enge Normen mit starker Phantasie und mit Hoffnungswillen begabt.

Jeder Mensch bringt seine Voraussetzungen, seine Gene, seine Antriebe und seine Träume mit. Sie auszuleben, zu verwirklichen, sein eigenes Leben zu gestalten, ist die Hauptaufgabe für jeden auf seine Weise. Ich habe die Gabe, ein paar Freuden am Tag schon als Glück zu emfinden und daraus in Freude zu gestalten und mich vorwärtsträumen zu können.

Nicht nur Einzelkinder gestalten in sich neben ihrer Lebensrealität ihren inneren Traum, ihren Kompass für Weiterentwicklung, Zukunft und Glück. Bei mir wurde er handfest durch den Wandervogel. So habe ich für mich entschieden, zwei Leben zu führen Einerseits das kaum umgängiliche reale Leben in der Gesellschaft mit Geldverdienen und Sparen, mit Disziplin und Vorwärtskommen. Andererseits meine inneren Träume zu akzeptieren, zu stärken und auszubauen. Und das mit Bejahung von Erfolgen und Niederlagen. Und meist mit Freude und Hoffnung.

Die Meißnerformel „Das Leben selbst immer weiter zu gestalten, ehrlich vor mir selbst“ war der eine Denkansatz. Er brachte mir für vieles Klarheit für meinen Weg. Manchmal kam die Klarheit reichlich spät, aber sie kam. Frieden und Aufschwungzeit nach 1945 halfen mir, vieles zu verwirklichen. Allein aber lässt sich vieles nicht verwirklichen. Die Meißnerformel ist nur die kurze, logische Formel, das eigene Leben zu gestalten. Mir fehlte das Gemeinsame. Für mich und meine Freunde setzte ich das Wort „in Gemeinschaft“ dazu. Das allein und trocken sagt jedoch nicht genug aus, was das bedeuten sollen.

Es fehlt eine zweite Formel, die Wandervogelformel, die ich mit Freunden mehrfach versuchte, in Kürze zu formulieren. Ein Beispiel füge ich Nachsatz an. Die Formelversuche treffen bis heute noch nicht den Kern, der im Traum verborgen ist, den ich beschreibe.

Allein bewirkt ein Mensch wenig, zu Zweit oder in Familie schon mehr, aber in Gruppe und Bund wirkt er weiter, erkennt im Echo mit den anderen sehr unterschiedlichen Menschen die eigenen Konturen, gewinnt für sich zu lernen, zu hören, zu reden, zu schreiben, zu philosophieren und damit an Können, vielleicht an Kunst oder Kunsthandwerk.

Wenn der Bund durch die Anerkennung von Urerfahrungen wie durch Fahrten ins Unbekannte, durch viele gemeinsame Nächte am Feuer, durch freudevolle Zeremonien ohne Einengung sich stärkt, urig und zünftig, dann wird das Gemeinsame in Lied, Poesie und Sprache zu einer kreativen Kraft, die die eigenen Lebensträume stärkt.  Der Liedschatz, das Vertrauen miteinander und die Freuden des Erlebens, des Wiedersehens und zusammen Wirkens stärken diese freiheitliche und gemeinschaftliche Atmosphäre, die seit über 100 Jahren „Wandervogelgeist“ genannt wird und sich nicht festgelegt weiter entwickeln kann.

Das Bundeserlebnis bei Fahrt und Feuer währt meist weniger als 30 Tage im Jahr. Und dennoch ist es prägend. Selbst für Menschen, wie mich, die gern allein sind oder zu Zweit.

Denken, Essen, Trinken, Arbeiten, Kleidung, Wohnen, Gärtnern, Bauen, Ausgeben, Feiern, Singen, Tanzen, Fahren in die Welt werden und besonders Mitmenschlichkeit dadurch mitbestimmt. So wird all dies mit den Jahren zu einer Kultur. Wohnen wird Wohnkultur, Kleidern wird Kleidungskultur, Essen wird Esskultur, Festkultur, Singen wird Liedkultur. Gesellschaftskonformität mit Mode, Billignahrung, Massenfest, Massenmedien, Schlagern, Doktrinen, Neuigkeitshörigkeit und ähnlichen Alltagsbeeinflussungen werden registriert, aber zählen nur noch am Rande.

Die Barfußschuhe, Zink & Magnesium, die besonders gesunde Bettwäsche, das Lied vorm Frühstück, Kleidung ohne Werbung, die gestaltete Wohnung im Grünen, das Schreiben für mich und andere, das Einladen von Freunden und das unvoreingenommene Eintreten für den Wandervogel sind Beispiele meines tägliches Lebens. Das ist ein Rahmen, in dem ich gern naturnah lebe und mit monija, meiner Frau, wohl fühle.                             Lüttenmark, 17. 9. 2020    hedo